„Auf dem Weg zum Konzern“ – Stadtratssplitter zu Haushalt, Naturschutz und AfD

Politik Von Anke Schlicht | am So., 29.11.2020 - 12:29

CELLE. „Mit diesem Haushalt wird der Weg zum Konzern untermauert“, sagte in der jüngsten Sitzung des Celler Stadtrates einer, dem Bewertungen allein aufgrund seiner jahrzehntelangen Erfahrung zusteht: Seit 1986 ist Joachim Schulze (SPD) Mitglied des Stadtparlamentes. Früher sei es ganz anders gewesen, die Politik habe vorgegeben, in stundenlangen Debatten jeden Posten hin- und hergewälzt, die Verwaltung wurde in Fachfragen zu Rate gezogen, mehr nicht. Heute sei es anders. Die Verwaltung arbeite den Haushalt aus, die Politik winke durch oder lehne ab. Für Letzteres entschied sich seine Partei trotz kritischer Anmerkungen auch in Richtung des Oberbürgermeisters nicht, die SPD-Fraktion stimmte dem Haushalt zu ebenso wie die AfD.

Diese hatte noch vor den Reden zu den Finanzen einigen Abgeordneten aus ihrer Sicht keine andere Wahl gelassen, als ans Mikrofon zu treten, um den Ausführungen der AfD-Vertreter entgegen zu treten. Beim Tagesordnungspunkt „Zuwanderungsagentur“, deren Satzung um den Begriff der „Integration“ ergänzt werden soll, sagte Anatoli Trenkenschu: „Die Massenzuwanderung haben wir schon lange nicht mehr, wieso bedarf es weiter einer Zuwanderungsagentur?“ 

„Sie haben bis heute nicht verstanden, wer an der Hohen Wende untergebracht ist“, sagte Bernd Zobel (Grüne) und merkte an, dass der Begriff „Massenzuwanderung“ etwas Menschenverachtendes in sich trage. Auch Behice Uca (Linke) bemängelte das Informationsdefizit der AfD, hörte aus den Worten Trenkenschus „so viel Hass“ heraus und bezeichnete diese als „widerlich und ekelhaft“. Ihr Fazit lautete: „Wir schieben einfach mal die AfD ab.“ Juliane Schrader (Grüne) ließ aufhorchen mit ihrem Statement, wonach die Grünen dem Haushalts- und Stellenplan für die Zuwanderungsagentur 2021 nicht zustimmten mit der Begründung: „Uns fehlt Fachkompetenz, da sitzt die Verwaltung, keine Betroffenen.“

 

Marianne Schiano empfahl indes Trenkenschu, sich einmal bei seinem Fraktionskollegen, Frank Pillibeit, zu informieren. Dieser sei Mitglied im „Zuwanderungsausschuss“, woraufhin Pillibeit ans Mikrofon trat und die kurze Debatte mit den Worten kommentierte: „Wir vertreten die Stimme derer, die im Rat nicht vertreten sind, die Stimme der normalen Bürger.“ Allerdings reichte diese etliche Tagesordnungspunkte weiter nicht einmal aus, für jene Celler zu sprechen, die sich einen Rewe-Markt als neuen Nahversorger für die Blumlage gewünscht hätten. Ohne Debatte und Wortmeldungen jener Kommunalpolitiker, die im Vorfeld der Sitzung die mangelnde Transparenz der Verwaltung sowie andere Ungereimtheiten kritisiert bzw. angemerkt hatten, wurde der Ansiedlung eines Edeka-Marktes an der Ecke 77er Straße / Burgstraße zugestimmt. Es gab mit Rewe einen weiteren Interessenten, dessen Antrag die Stadtverwaltung nicht bearbeitet hat.

Das beim Thema Zuwanderungsagentur bemängelte Informationsdefizit der AfD zeigte sich auch beim Thema Naturschutz gegen Ende der mehrstündigen Sitzung, die mehr als 100 Interessierte per Livestream im Internet verfolgten. Daniel Biermann (AfD) plädierte nach zahlreichen Diskussionen im Umweltausschuss, dem er angehört, dafür, die historische Teichlandschaft „Entenfang/Boye“ nicht den Status Naturschutz, sondern lediglich Landschaftsschutzgebiet zu verleihen. Seine Begründung lautete: „Überall dort, wo gewirtschaftet wird, soll grundsätzlich nur ein Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen werden.“ In diesem Fall war es Heiko Gevers (CDU), der aufklärte über die Freiräume und Flexibilität, die Naturschutz mittlerweile zulasse. Es könne keine Rede mehr davon sein, dass in Naturschutzgebieten nicht gewirtschaftet werden könne. Auch für Spaziergänger seien diese nicht verboten. Der Entenfang / Boye, dessen Ausweisung als Naturschutzgebiet der Stadtrat mit großer Mehrheit zustimmte, sei eine Kulturlandschaft, die sich im Laufe der Jahrzehnte in ein natürliches Ressort verwandelt habe. Und so konnten am Ende der letzten Stadtratssitzung des Jahres 2020, deren Kern nüchterne Haushaltszahlen waren, mit einem Bild schließen, das Heiko Gevers mit Worten zeichnete: „Wenn Sie jetzt in diesen Tagen die Kraniche über Celle ziehen sehen, dann fliegen sie zum Entenfang, dort übernachten sie.“