Gedankenreise in die Vergangenheit auf dem Weg der Erinnerung

Kultur + Gesellschaft Von Susanne Zaulick | am So., 18.04.2021 - 16:55

BERGEN-BELSEN.  „Die Umgebung hier muss wohl herrlich sein. Sollten wir später einmal über die Heide gehen können, ohne stets diese grünen oder braunen Baracken als Vorposten eines Lagers sehen zu müssen? Was geschieht nach dem Krieg mit diesen Lagern, die doch alle immer gleich aussehen? Was macht man mit Baracken, Waschhäusern, Bettgestellen, Wachtürmen, Scheinwerfern, Stacheldraht und …Kohlsuppe? Wirkliche Rachsucht verspüre ich eigentlich nicht. Brecht diese Lager ab und lehrt die Menschen zu leben, statt zu befehlen, zu treten, zu schießen.“  So wie Renata Laqueur sich in ihrer Gefangenschaft in Bergen-Belsen 1944/45 die „Zeit danach“ ausmalte, will der „Weg der Erinnerung“ die Gedankenreise in die Vergangenheit einleiten.

Rund 6 Kilometer beträgt die Strecke von der „Rampe“, dem Ort an dem die meisten der im KZ Bergen inhaftierten Menschen zwischen 1940 und 45 in Güterwaggons ankamen, bis zum damaligen Lagereingang. Der Weg führte durch das Dorf Belsen und vorbei an den Kasernen – wie heute. Der „Weg der Erinnerung“, den Jugendliche aus Bergen und Hermannsburg jetzt entlang der Landesstraße neu gestaltet haben, lädt dazu ein, sich mit der Situation derer auseinanderzusetzen, die hier nicht nur dem Konzentrationslager sondern oft auch dem Tod entgegen gingen.

Auf vier Schildern werden seit dem Wochenende Zitate von Zeitzeugen wiedergegeben und die „Stationen“ Rampe, Kaserne, Dorf und Lagereingang erläutert. Ein fünftes Schild informiert über das Projekt „Weg der Erinnerung“. Eine wichtige Rolle spielen dabei die auf den Schildern angebrachten QR-Codes, die auf die neue Website www.wegdererinnerung.info führen, auf der wiederum Audiotouren, weitere Zeitzeugenaussagen und übersichtlich strukturierte Kurzbiographien der Überlebenden Renata Laqueur, Hanna Lévy-Hass, Janny Brandes-Brilleslijper und Hanna Elisabeth Pick- Goslar bereitgestellt werden. 

„Hinter Fakten und Zahlen kann man sich oft nicht so viel vorstellen. Wenn man sich mit den Berichten der Menschen beschäftigt, wird alles viel berührender, auch schrecklicher. Aber man kann es besser verstehen“, sagt Esther Laaser, eine der TeilnehmerInnen. Besonders beeindruckt hat die Schülerin eine Begegnung mit der Überlebenden Yvonne Koch, die von der Gedenkstätte in diesem Zusammenhang organisiert worden war. „Sie hat uns aus ihrem Leben erzählt, damit wir aktiv werden können. Und mit dem Weg der Erinnerung konnten wir aktiv werden“, so Esther.

Die Begegnung im ev. Gemeindehaus mit der Jüdin Yvonne Koch, die als Kind ohne ihre Eltern in Bergen-Belsen inhaftiert war, und die für das Treffen mit den Jugendlichen vergangene Woche aus Düsseldorf angereist war, hat auch bei Carolin Tutas Spuren hinterlassen. „Sie war das einzige Kind in einer Gruppe von älteren Frauen, die sie teilweise nicht gut behandelt haben“, berichtet die Jugendliche, die auch ein schönes Erlebnis der Zeitzeugin in Erinnerung behalten hat: „Eine andere Frau hatte ihr Handschuhe gestrickt – aus den Fäden einer aufgetrennten Pferdedecke“.

Bereits im vergangenen Jahr haben Jugendliche der Bergener St. Lamberti-Gemeinde damit begonnen, die weiße Markierung, die den „Weg der Erinnerung“ auf dem Fuß- und Radweg sichtbar macht, zu erneuern. Die Idee stammte ursprünglich von der AG Bergen-Belsen und dem Anne-Frank-Haus Oldau und wurde bereits ab 2007 im Rahmen der internationalen Jugendworkcamps des Landesjugendringes Niedersachsen e.V. und der Gedenkstätte erstmals umgesetzt. Nun sollte das Konzept überarbeitet werden.  „Viele Leute haben hier intensiv zusammen gearbeitet“, berichtet Moritz Thies vom Anne-Frank-Haus Oldau und nennt nicht nur die Gedenkstätte, die das Projekt beratend begleitet habe, sondern auch den Grafikdesigner Jochen Steiding, der mit dem Jugendlichen per Online-Konferenzen die Gestaltung erarbeitet hat oder den städtischen Bauhof, der die Schilder „unkompliziert“ aufgestellt habe. 

Auch Elke von Meding, Vorsitzende der AG Bergen-Belsen, die Zeitzeugentexte beigesteuert und die Schilder bezahlt hat, ist zufrieden mit dem „Update“ des Weges. „Die Jugendlichen haben sich wirklich sehr intensiv mit dem Thema beschäftigt“, lautet ihr Fazit. Fünf ausführliche Onlinekonferenzen habe es im vergangenen halben Jahr mit dem TeilnehmerInnen gegeben, berichtet Diakonin Sonja Winterhoff von der St. Lambertigemeinde, die das Projekt koordiniert und begleitet hat. Neben informellen Teilen über das KZ habe bei den Videokonferenze die Erarbeitung der Website im Mittelpunkt gestanden. Sie freut sich besonders darüber, dass die 15- bis 17-Jährigen trotz zeitaufwendigem Homeschooling dafür ihre Freizeit verwendet haben. 

Bei einigen wurde dadurch nicht nur das Interesse an regionaler Geschichte, die in diesem Fall auch Weltgeschichte ist, vertieft, sondern auch an an der eigenen Familiengeschichte geweckt. So wie bei Fia-Janice Meyer, die das Projekt zum Anlass genommen hat, sich mit den Kriegserfahrungen ihres aus Polen stammenden Urgroßvaters zu beschäftigen.