„Oslo“ überzeugt vor leeren Reihen

Theater Von Anke Schlicht | am So., 26.09.2021 - 15:26

CELLE. Wissen – Kunst – Debatte – so lautet das Prinzip des neuen Schlosstheater-Formates THEATERHOCHDREI, das gestern in die zweite Runde ging. Der Politikwissenschaftler Dr. Stefan Engert war eigens aus Worms angereist, um den Besuchern des von Intendant Andreas Döring in Szene gesetzten Stückes „Oslo“ begleitende Informationen zum Thema Konfliktlösung zu geben. Die Resonanz war jedoch bei Teil eins „Wissen“ relativ gering, nur wenige Gäste fanden sich bereits eine Stunde vor Aufführungsbeginn ein. Noch weniger, nämlich lediglich eine Zuschauerin, blieb nach der „Kunst“ für die „Debatte“.

Engerts einführende Worte waren sehr hilfreich, denn „Oslo“ widmet sich den Friedensverhandlungen zur Beilegung des israelisch-palästinensischen Konfliktes, der äußerst kompliziert ist und Vorwissen erfordert. Der Experte schilderte u.a. chronologisch die Historie der auslösenden Ereignisse und legte so eine gute Grundlage für das Verständnis der komplexen Handlung, die auf dem Schauspiel von J.T. Rogers basiert (Deutsch von John Birke). Dieses wiederum folgt den historischen Abläufen zu Beginn der 1990er Jahre, die 1993 im Oslo-Abkommen zwischen dem damaligen Palästinenserführer Yassir Arafat und dem Ministerpräsidenten Israels Jitzchak Rabin mündeten.

Der Theatersaal der Hauptbühne ist bei der zweiten Aufführung nach der Premiere am Freitag nur mit 70 bis 100 Interessierten gefüllt, die Referentin für Öffentlichkeitsarbeit Andrea Hoffmann wollte sich zu den exakten Zahlen noch nicht festlegen. Dass nur eine Besucherin blieb für das Nachgespräch könnte darin begründet sei, dass das Stück zweieinhalb Stunden mit einer Pause dauert. Diese Spanne benötigt der auf verschiedenen Zeitebenen und mit sehr vielen Personen spielende Handlungsverlauf. Autor Rogers bricht staatstragende diplomatische Verhandlungen herunter auf ein wesentliches Element – die Zwischenmenschlichkeit. Als es endlich so weit ist - Arafat und Rabin zur Unterzeichnung des Friedensvertrages nach Washington zum amtierenden amerikanischen Präsidenten Bill Clinton anreisen, sitzen diejenigen, die verantwortlich zeichnen für das Abkommen, die über Jahre gearbeitet haben, Treffen arrangiert, tagelang geredet und gefeilscht haben, in der letzten Reihe. Niemand nimmt Notiz von denjenigen, die abseits der offiziellen Ebene und abgeschieden von der Bühne der großen Weltpolitik in einer Villa nahe Oslo einen inoffiziellen Kanal aufgebaut und damit die schlussendliche Übereinkunft angebahnt und zur Reife gebracht haben.

„Hinterzimmer-Diplomatie“ ist das Schlüsselwort des Stückes, das ebenso informativ wie unterhaltsam daherkommt. Regisseur Döring gelingt es, den Erzählfaden nachvollziehbar zu halten, dazu trägt bei, dass die Diplomatin Mona Juul, in ihrer Strenge und Förmlichkeit glaubhaft dargestellt von Caroline Pischel, regelmäßig die Szenerie verlässt und zur „Informantin“ des Publikums wird. Das Bühnenbild hat Martin Käser über Zeit und Raum hinweg perfekt gestaltet. Star der großen Darstellerriege ist Johann Schibli als Ahmed Kurei, dem Vertrauten von Yassir Arafat, so stellt man sich einen abgeklärten, etwas in die Jahre gekommenen orientalischen Gesandten vor. „Sie sind mein erster Jude“, sagt er einen prägnanten Satz zu einem Vertreter der israelischen Delegation. Man kommt sich näher bei Wein und norwegischen Spezialitäten. Aus Mitgliedern zweier aufs Äußerste verfeindeter Lager werden Menschen, die sich in vielem sehr ähnlich sind und die der Wunsch nach Frieden zwischen Israel und Palästina eint. „Das Modell des Gradualismus“ nennt Monas Ehemann Terje Rod-Larsen seinen Ansatz. Hinter dem wenig fassbaren Begriff verbirgt sich nichts anderes als das persönliche Kennenlernen von Menschen, das das Potential zur Überwindung von Konflikten in sich birgt. Es muss nur richtig eingefädelt und moderiert, und im Falle des Theaterstücks treffend inszeniert und dargestellt sein. Das eine gelang auf der Bühne der großen Weltpolitik, das andere auf der des Schlosstheaters.